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Komposition 
alba desdibujada


alba desdibujada (2016)


Stephanie Haenslers Werk für Klavierquintett verdankt seine Struktur einem Gedicht des jungen Jorge Luis Borges aus dem Jahre 1923. Es trägt den Titel Verschwommene Dämmerung und handelt von einem einsamen Spaziergang durch den Hafen von Buenos Aires. Schiffssirenen und Möwenschreie (etwa in Form des in der neuen Musik weit verbreiteten «Möwen-Effekts» durch Flageolett-Glissando) haben keinen Eingang in die Musik gefunden, überhaupt wird auf direkte bildliche Bezüge verzichtet. Die Korrespondenzen zwischen Gedicht und Musik liegen tiefer, vor allem auf der Ebene von Gesten und Bewegungen (z.B. sich dehnende Kranseile oder der Flügelschlag der Möwen). Die Musik saugt diese Elemente des Gedichts in sich auf und nimmt sie für sich ein. Es sind, wenn man so möchte, Übersetzungen sprachlicher beziehungsweise visueller Phänomene in Musik, so auch das nächtliche Flimmern des Beginns, in dem die klanglichen Konturen, zunächst verschwommen, nach und nach schärfer werden. Das enge Hier («Am flachen Himmel stumpfen die Masten ab») und das weite Dort («die Saiten ferner Räume»), die beiden Raum- und Zeitebenen des Gedichts, finden ihre musikalische Entsprechung in zwei harmonischen Feldern, die das ganze Stück hindurch in unterschiedlichen Intensitäten schimmern.
Johannes Knapp


alba desdibujada


Se apagaron los barcos
en el agua cuadrada de la dársena.
Las periódicas grúas relajan sus tendones.
Los mástiles se embotan en el cielo playo.
Una sirena ahogada pulsa en vano
las cuerdas de la distancia.
La ceniza de adioses aventados
va agostando el paraje
y es un pañuelo en despedida
la gaviota que pasa
rozando con las alas
las hachas de las proas que talan la foresta de los mares.
En previsto milagro
la aurora despeñada
rodará de alma en alma.
Jorge Luis Borges



Audio: Alumnae/-i der Lucerne Festival Academy, Lin Liao: Leitung (UA)
©Radio SRF 2 Kultur





N° 02





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